Der Wahnsinn beginnt
In der Nachbarschaft hatte man den Einzug der drei seltsamen Gestalten in Sportanzügen argwöhnisch beäugt. Zwar waren sie ihrer Patina beraubt und verbreiteten auch nicht mehr diesen übermäßigen Eigengeruch, der einem den Atem nahm, aber ihr Benehmen wollte so gar nicht in dieses Arrondissement passen. Niemand würde öffentlich darüber reden, das tat man in dieser noblen Gegend nicht, aber man traf sich des Öfteren auf irgendwelchen Gesellschaften, die für den kleinen Mann nicht zugänglich waren. Dort zerriss sich die feine Gesellschaft ihre Mäuler, rümpfte die Nase und wurde nicht müde, zu betonen, dass man doch etwas verwundert sei. Dabei sahen sie aus wie Erdmännchen, die ihren Bau bewachten. Wenn sie wüssten, wer da für kurze Zeit in ihrer Nachbarschaft weilte … die Nationalgarde würde anrücken, angesichts dieses Feindes in Sportanzügen.
Maverick, der Butler der feinen Madame … nennen wir sie Louise … erkundigte sich so nebenbei (Butler sind ja so diskret … die fragen nicht einfach …) bei Baptiste, wer denn die Herrschaften in den Sportanzügen seien. Erweckten sie doch so gar nicht den Eindruck bodygestählter und muskelbepackter Personaltrainer. Verständlich, angesichts dessen, was da unter den Sportanzügen so herumschwabbelte …
Okay! Nachdem es am Abend des Einzugs zu manchem Wortgefecht gekommen war, bezüglich des Trunkes, ohne deren Genuss man nicht einschlafen, geschweige denn durchschlafen konnte, war die erste Nacht … sagen wir … etwas unruhig. Verständlich, angesichts der Tatsache, dass bei einem Clochard der Alkoholpegel nie stärker schwanken sollte. Die zwei Flaschen Rotwein, die die völlig genervte Chloé ihnen irgendwann gab, reichten nicht mal annähernd aus, das Schwanken zu beseitigen. Dementsprechend mies war die Stimmung am ersten Morgen.
Baptiste, der die Aufgabe eines stillen Beobachters übernommen hatte (und mich immer auf dem Laufenden hielt) und streng darüber wachte, dass alles den Regeln entsprach, war etwas überfordert. Non! Ihr dürft jetzt nicht denken, dass unsere Clochards immer sturzbetrunken und lallend auf Les Champs liegen. Sie sind Obdachlose, die mit ihrer Reinlichkeit etwas in Verzug sind und normalerweise ihren Mitmenschen nicht die Nerven zählen. Okay! Der Alkoholkonsum ist bei den meisten erhöht, aber sie sind im Stadtbild, der schönsten Stadt der Welt, weitestgehend unsichtbar. Was da auf Les Champs herumliegt und den Bürgersteig küsst … das Thema wollen wir jetzt doch besser nicht vertiefen …
Beim Frühstück war die Situation etwas angespannt. Niemand wusste so genau, auf was man sich eingelassen hat. Zudem hatte Chloé eine Kleinigkeit unerwähnt gelassen …, dass sie über keinerlei Erfahrung in Haushaltsführung besitzt und nicht kochen kann. War es noch einfach, die richtigen Knöpfe am Vollautomaten zu drücken und ihre … nennen wir sie Gäste … mit den gewünschten Heißgetränken zu versorgen, so stieg der Schwierigkeitsgrad rapide an, als diese Gäste ihren Deal „Eine Woche Luxusleben“ mit einem ausgedehnten Frühstück beginnen wollten.
Während sich Céleste mit einem fünf Minuten Ei zufrieden gab, gelüstete es Jean-Claude nach einem Spiegelei, was Chloé den Schweiß auf die Stirn trieb und dann bestellte Paulette Eier Benedict. Chloés Teint wechselte von leicht gerötet zu leichenblass. Sie war schon beim ersten Einsatz völlig überfordert. Der Gedanke daran, lässt mein boshaftes Herz heute noch lächeln.
Ihr wisst sicher noch, wie schwer es ist ein fünf Minuten Ei in den Eierbecher zu setzen und von einem Spiegelei wird noch immer erwartet, dass dieser goldgelbe Eigelbhügel erst sein weiches Inneres preisgibt, wenn man mit der Gabel hineinsticht. Über die pochierten Eier wollen wir jetzt nicht mehr reden. Sie treiben mir noch immer den Schweiß auf die Stirn, wenn ich an sie denke. Der gebratene Speck allerdings … ich konnte förmlich sehen, wie er aus der Pfanne hüpfte, über den blankpolierten Granit der Arbeitsplatte schlitterte und auf den Boden hüpfte. In diesem Moment überkam mich der erste Schauer der Genugtuung. Okay! Mein boshaftes Herz hüpfte schadenfroh auf und ab. Als mir Baptiste am Abend von Chloés erstem Kochversuch berichtete, übertraf die Realität all meine Vorstellungskraft.
Das fünf Minuten Ei war hartgekocht, das Spiegelei eine dunkelgelb-braun marmorierte Masse mit stark überbräuntem Boden und die Eier Benedict … Ich würde jetzt sagen, decken wir den Mantel des Schweigens darüber … aber es waren Chloés Eier Benedict und man muss jede Sekunde ihres Leidens genießen.
Zuerst einmal bemühte sie Monsieur Internet. Der Gute, wenn er geahnt hätte, dass die Leiden eines Jahres diesmal in eine Woche gepresst werden sollten … er hätte den Betrieb eingestellt.
Okay! Wir sind nicht gehässig und erfreuen uns auch nicht am Leid anderer … es sei denn, sie heißen Chloé und haben uns ein Jahr der Leiden beschert.
Wer Eier Benedict kennt, weiß, dass dahinter einige Arbeitsschritte stehen. Man toastet das Brot, pochiert die Eier, brät den Speck … und bereitet Sauce Hollandaise zu. Oh … das hört sich so gut an. Vier Dinge, die noch immer auf meiner Blacklist stehen und für immer stehen werden. Mein Herz frohlockte und ich wäre zu gerne dabei gewesen, als Chloé an den Rand des Wahnsinns trat. Hatte ich mein Jahr des Leidens noch zu gut im Kopf … Was kümmerte es mich, dass die reizenden Gäste etwas länger auf ihr Frühstück warten mussten? Meine Gäste mussten sich auch die Zeit vertreiben, bis das Essen serviert wurde.
Eier Benedict … das zerging wie Honig auf der Zunge. Nun ja … sagen wir mal so. Ein Butler ist jemand, der da ist, wann immer man ihn braucht. Jemand, den man nicht sieht, meistens auch nicht beachtet. Er ist steif wie ein Stock, höflich, zuvorkommend, unaufdringlich und ein Wesen, das wohl ohne Fröhlichkeit im Herz und mit ausdruckslosem Gesicht geboren wurde. Normalerweise schweigt er, was auch immer er bei der Herrschaft gesehen, gehört oder erlebt hat, aber diesmal war er gezwungen, alles zu berichten, was im Hause vor sich ging. Und ihr könnt mir glauben, als er von Chloés Kochkünsten berichtete, huschte der Anflug eines Lächelns über sein sonst so steifes Gesicht ohne Ausdruck.
Okay! Jetzt habe ich euch lange genug auf die Folter gespannt. Sie begann mit dem fünf Minuten Ei. Man sollte auch die Eieruhr einstellen, ansonsten nützt sie nicht. Chloé tat es nicht. War sie doch anscheinend der irren Meinung, in fünf Minuten ein Spiegelei zuzubereiten, Speck zu braten, Brot zu toasten, pochierte Eier und Sauce Hollandaise zuzubereiten. Tja! Beim Kochen irrt man sich des Öfteren und Planung geht mit der Realität nicht konform. Und was im Kochbuch so gut aussieht … Ihr wisst, ich weiß, wovon ich rede …
Sauce Hollandaise … Butter, die sich in Sekundenschnelle in Öl verwandelt, in dem wolkenartige Flöckchen schwimmen … okay … wenn sie nicht vorher schon brutzelt und sich in eine schwarzbraune Masse verwandelt, und erst das Eigelb, das sich immer so bockig anstellt und statt glatt (ich weiß noch immer nicht, was das bedeutet) und cremig mehr so … ihr erinnert euch an die gelben Fäden, die da in meiner Schüssel lagen? Hört auf zu stöhnen … non … gelacht wird auch nicht …
Wieder abgeschweift! Aber ihr erinnert euch noch? Okay! Wie solltet ihr das vergessen? Ich kann euch heute noch lachen hören. Zurück zu Chloé … Das fünf Minuten Ei schwamm in geschätzten fünf Litern Wasser. Das Aufschlagen eines Eies war doch nicht so einfach, wie sie dachte. Ihr Ehrgeiz beim Kochen hielt sich in Grenzen und sie gab bereits nach dem vierten zerbrochenen Ei auf. Was da in der Pfanne landete, hätte gut als moderne Kunst durchgehen können. Während das fünf Minuten Ei vor sich hin schwamm und das Spiegelei auf kleinster Stufe seine Konsistenz änderte, machte sie sich an das Braten des Specks. Hatte sie aus meinen Leiden gelernt oder war sie einfach besser am Herd? Weder noch … sie gab den Speck in die kalte Pfanne und stelle die Temperatur auf das Minimum, was Baptiste sehr verwunderte und mich ebenfalls. Er wusste, dass das nicht gut gehen würde und ich ahnte es. Chloés Taktik war durchschaubar und man musste kein Paul Bocuse sein, um zu ahnen, zu was es führen würde.
Nun ja! Kam mir das Braten des Specks schon seltsam vor, so war die Zubereitung des pochierten Eies … nun ja … vielleicht hatte sie die Berge schmutzigen Geschirrs in meiner Küche noch im Kopf und wollte ihrerseits Geschirr sparen? Sie schlug ein paar Eier auf und ließ sie ins warme Wasser gleiten. Die verwandelten sich sofort in fädige Gespinste und glitten durchs Wasser, das sie sich mit dem fünf Minuten Ei teilen mussten. Sie kamen sich nicht in die Quere. Das fünf Minuten Ei tauchte über den Boden des Topfes und die … nun ja … pochierte Eier konnte man sie nicht nennen … egal … sie schwammen an der Oberfläche herum. Ich musste lachen, als ich das Video sah. Putzig sahen sie aus, die Eier, die weit entfernt von dem waren, was man pochierte Eier nennen würde.
Okay! Fünf Minuten Ei und pochierte Eier schwammen im Topf, das Spiegelei brutzelte in der Pfanne und der Speck … nun ja … könnte man es vor sich hin kochen nennen? Kochen im eigenen Saft? Rosa und gekrümmt blubbern? Egal …
Sie begann mit der Zubereitung der Sauce Hollandaise. Was da auf dem Photo zu sehen war … ich könnte es ebenfalls zubereitet haben … kein Unterschied … Flöckchen, die in Öl schwammen. Versuch zwei, drei und vier waren ebenfalls misslungen. Mein teuflisches Herz frohlockte. Von wegen, kochen kann doch nicht so schwer sein …
Sie hat erst gar nicht versucht die Eier glatt zu rühren … Ein kurzer Anruf im Feinkostladen und dreißig Minuten später stand der Bote vor der Tür. Oui! Sie wohnt etwas weiter vom Feinkostladen entfernt, da dauert es etwas länger, bis die Ware geliefert wird.
Der erste Versuch, die Sauce zu erwärmen schlug fehl. Die Microwelle ist nicht für alles geeignet … Der zweite Versuch … nun ja … wie ihr wisst, verträgt auch Monsieur Gayets Sauce Hollandaise keine große Hitze. Ich muss wohl nicht extra sagen, dass das fünf Minuten Ei noch immer am Boden des Topfes herumtauchte und die pochierten Eier durchs Wasser geisterten und der Speck … nun ja … auch die geringste Hitze wird dem Speck irgendwann zu viel und das Wasser in der Pfanne verschwindet, wie ein See in der Sahara. Sagen wir mal so … es kochte nichts mehr, es blubberte nichts mehr, es war nichts mehr rosa, nur gekrümmt war er noch und … nun ja … mehr als überbräunt.
Jetzt war Eile angesagt. Das Brot wurde in den Toaster gesteckt. Das fünf Minuten Ei aus dem Topf gefischt und in den Eierbecher gesteckt. Das Fischen hatte etwas länger gedauert und so musste der Toast noch eine Runde im Toaster zubringen. Was sie dann herausholte war … nun ja … auch etwas überbräunt und ähnelte mehr einem Zwieback … einem dunklen … sehr dunklen Zwieback. Sie legte den Speck, der sich farblich kaum vom Toast unterschied, auf denselben. Sie fischte die pochierten Eier aus dem Wasser und wunderte sich, dass sie sich nicht an den Speck schmiegten, sondern immer wieder runterrutschten. Wie sollten sie sich auch anschmiegen? Sie ähnelten mehr Gummibällen als Eiern. Nun ja … die Sauce … Chloé wollte nicht das letzte Glas Sauce mit ihrer Unkenntnis, was das aufwärmen betraf, ruinieren und goss sie kalt über den sehr dunklen, mit stark überbräuntem Speck belegten, Zwiebacktoast, von dem die überpochierten Eier gerutscht waren. Mir schauderte bei diesem Anblick. Jetzt konnte ich mir annähernd vorstellen, wie es meinen Gästen erging.
Als ich dann das Spiegelei sah, war ich froh, dass ich es nicht essen musste. Das hatte es sich die ganze Zeit über in der Pfanne mehr oder weniger gemütlich gemacht und dabei seine Farbe von gelb-weiß zu dunkelgelb-braun geändert, wobei es seine Unterseite leicht ankokelte. Das Ding war hart wie ein Brett.
Jetzt könnte man meinen, Clochards essen alles … weit gefehlt. Auch sie haben eine Ekelgrenze. Nicht nur, dass alles äußerst unappetitlich aussah, es hatte auch diesen Geruch, der mir heute noch in der Nase sitzt. Ihr wisst schon … dieser kokelige Geruch, der einem die Nasenschleimhaut verätzt und sich im Gehirn festsetzt für alle Ewigkeit.
Nun ja! Diesmal war es nicht mein verkokeltes Essen. Ihr wisst, ich hatte immer den Ehrgeiz, alles einigermaßen ansehnlich auf den Tisch zu bringen. Leicht … okay … mehr als leicht überbräuntes wurde abgeschnitten und kokeliges landete in der Mülltonne. Chloé hatte diesen Ehrgeiz nicht. Die Clochards taten mir leid und Chloé ging hart an der Grenze der Niederlage vorbei.
Nachdem sie eingesehen hatte, dass das Frühstück ungenießbar war, musste sich der Bote des Feinkostladens erneut in den Wagen setzen. Baguette, Butter, Marmelade und Käse mundeten den Gästen und sie waren äußerst zufrieden. Nur mit dem Service haderten sie dann doch ein wenig.
Nach diesem, im wahrsten Sinn des Wortes, ausgedehnten Frühstück kurz vor dreizehn Uhr, begab sich Céleste wieder auf ihr Lager, das in der Nacht in die Ecke neben dem Kamin gewandert war. Sie musste sich von den Strapazen erholen, die dieser Morgen mit sich gebracht hatte. Jean-Claude verzog sich auf sein Zimmer und drehte die Lautstärke des Fernsehgerätes so hoch, dass Chloés Trommelfelle vibrierten. Als sie ihn bitten wollte, das Gerät leiser zu stellen, schnarchte er bereits vor sich hin. Nun ja … er brauchte den Lärm für seinen gesunden Schlaf … Paulette saß derweil selig lächelnd auf einem Sessel und ließ sich den Sherry schmecken, den sie im Vorratsraum gefunden hatte.
Chloé brauchte eine Auszeit, zog die Laufschuhe an und lief sich ihren Frust von der Seele. Tja! Selbst schuld … sie kennt meinen Dickkopf und weiß, ich gebe nicht auf …
Als sie nach Hause kam, schnarchten die Gäste in einer Lautstärke, die das Haus erzittern ließ. Die Nachbarn hielten die Fenster geschlossen und Madame Louise schüttelte verständnislos den Kopf, was zeigte, dass sie nicht so richtig in dieses Nobelviertel passte. Mon Dieu! Wir schütteln nicht den Kopf, wir wahren die Contenance …
Als Chloé aus dem Badezimmer kam, saßen die Gäste im Salon vorm Kamin, in dem die Flammen loderten, rösteten Kartoffeln und sangen lautstark die Marseillaise. Zwischendurch hörte man immer wieder lautes Schmatzen. Sie hatten die teuren Praliné in der Schublade gefunden.
Spät am Abend schob Chloé immer wieder Tiefkühlpizza in den Backofen. Die Gäste hatten einen unbeschreiblichen Appetit. Der billige Rotwein floss in Strömen und kurz nach Mitternacht fiel einer nach dem anderen in einen weinseligen Schlaf.
Chloé fiel völlig erschöpft ins Bett und ich möchte nicht wissen, wie oft sie an diesem Tag bereut hatte, dass sie sich auf diese Wette eingelassen hatte.
Am nächsten Tag, in aller Frühe, nachdem Baptiste mir alles genauestens berichtet und sich meine … nun ja … bösen Kommentare zu den Photos angehört hatte, konnte er sich das Lachen kaum noch verkneifen. Mais oui … auch Butler können schadenfroh sein.
hilfe sie kocht am 10. Juni 19
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