Sonntag, 10. August 2014
Côte de veau
Oh je! Heute kann ich sagen, dass meine Gäste schlimmer waren, als das Kochen. Ich bin froh, dass dieser Event vorüber ist.
Meine Nerven lagen am Boden und… fangen wir besser ganz von vorne an. Ich glaube, danach könnt ihr besser verstehen, warum meine Nerven die weiße Fahne gehisst hatten.

Ungewöhnlich! Ich erledigte meine Einkäufe bereits am Donnerstag. Maître Gayet meinte, ich wäre ganz schön mutig, mir eine vierköpfige Familie aufzuhalsen. Im Nachhinein muss ich sagen, seine Wortwahl war äußerst unpassend. Dämlich wäre angebrachter gewesen.

Nach kurzer Abhandlung meines letzten Kochevents, bekam ich vier riesige Koteletts. Monsieur Gayet riet mir, das Fleisch auf beiden Seiten nur ganz kurz anzubraten. Auf keinen Fall: STARK ANBRATEN! Das würde bei mir nur wieder schief gehen. Dann sollte ich die Koteletts im Backofen rosa garen.
Tja! Rosa garen.

Freitag, Tag des Grauens. Bereits um 13 Uhr begann ich mit den Vorbereitungen.
Ich schälte meine Gegner, welche sich Kartoffeln nennen. Ihr wisst schon, diese kleinen, fiesen Biester, die einem schon beim Schälen Unwohlsein und Schmerzen verursachen und, in Pfanne oder Topf, so schnell ihre Farbe oder Konsistenz wechseln können.
Dann stellten mich Champignons vor neue Herausforderungen. Die Stiele abschneiden war ja noch einfach. Aber dann sollten sie geputzt werden. Mittels eines weichen Bürstchens! Ich war perplex.
Gibt es auch Champignonreinigungsbürstchen? Pilzreinigungsbürstchen? Ich besitze so etwas nicht.
Die Champignons waren doch sauber. Was sollte man da noch putzen? Ich habe sie doch nicht im Wald gesammelt.

Ich nahm das Fleisch aus dem Kühlschrank damit es sich akklimatisieren konnte.
Maître Gayet meinte, man solle Fleisch nie direkt aus dem Kühlschrank in die Pfanne legen. Ich verstehe zwar nicht warum, aber wenn er es sagt.
Ich tupfte die Kalbskoteletts trocken (Ihr wisst schon, Julia Child hat das auch immer gemacht. Also das Fleisch trocken getupft). Nun stand ihnen eine lange Ruhezeit bevor.

Danach machte ich mich an die Zubereitung des Desserts. Nachdem Ihr mir so viele Rezepte für leckere Desserts geschickt habt, wollte ich eines davon ausprobieren.
Schokoladen-Mascarpone-Crème! Die Zubereitung schien einfach.
Oh weh! Da war es wieder, dieses: Ach das ist doch einfach Gefühl. Dieses Gefühl, das einen in Sicherheit wiegt, um dann zuzuschlagen.

Zuerst musste Sahne erhitzt werden. Ich weiß jetzt wirklich nicht, lag es an dem zu kleinen Topf, an meiner, was Sahne betrifft, langsamen Reaktion oder der Hinterlist dieser fettigen, weißen Flüssigkeit.
Jedenfalls wiegte sie mich lange Zeit in Sicherheit. Dann stieg sie ohne Vorwarnung im Topf hoch, stieg über den Rand und brannte sich auf dem Kochfeld ein. Grrr!
Zweiter Versuch! Höherer Topf! Ha! Diese hinterlistige Fettmasse. Eben noch brav vor sich hin erwärmend, stieg sie im nächsten Moment hoch und gesellte sich zu der bereits eingebrannten Sahne auf dem Kochfeld. Grrr!
Es roch widerlich verbrannt. Am liebsten hätte ich den Topf aus dem Fenster geworfen.
Allerdings hätte er mir im Garten nichts genutzt. Ich stellte ihn in die Spüle zu dem anderen Unglückstopf. Ich hatte das ungute Gefühl, dass der Platz in der Spüle heute wieder ziemlich eng werden würde.

Zurück zur Crème. Ich nahm den größten Topf, den ich im Schrank fand. Die Sahne bedeckte mal eben den Boden. Ich brach Schokolade in kleine Stücke und gab sie in den Topf.
Was dann geschah, war einfach nur Grrr!
Plötzlich, ohne Vorwarnung, roch es widerlich verbrannt. Die Schokolade war angebrannt. Nicht genug damit, die Sahne stieg hoch und verließ den Topf, um sich auf dem Kochfeld einzubrennen.
Aus dem Topf stieg dunkler Rauch auf, der Brandmelder schrillte und der Topf landete im Garten. Ups!

Nach diesem GAU brauchte ich eine Pause. Es war mir völlig egal, ob es abends ein Dessert geben würde oder Melissa um 21 Uhr im Bett lag.
Es war ein äußerst ungünstiger Tag, um eine Familie zu verköstigen – solch eine Familie. Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich nicht einmal, dass mir der Super-GAU noch bevorstand.
Ich verzog mich erstmal mit einem Cappuccino in eine ruhige Ecke im Garten. Hätte ich geahnt, was mir noch bevorstand, ich hätte das Tor verbarrikadiert.

Inzwischen war es 16 Uhr und ich hatte nichts vorzuweisen. Ich machte mich auf, um wenigstens die Crème herzustellen. Den Topf im Garten ignorierte ich.

Dessert – vierter Versuch! Ich gab die Schokolade in die Küchenmaschine und zermahlte sie. Mal sehen, ob ich dieses braune Zeug nicht in Sahne auflösen kann, ohne dass es anbrennt.
Ich nahm den nächsten Topf, gab die gemahlene Schokolade hinzu und rührte. Rührte, rührte, rührte. Ich habe inzwischen gelernt, das sehr viele Lebensmittel äußerst liebebedürftig sind. Sie brauchen sehr viel Aufmerksamkeit.

Ich habe Sahne und Schokolade auf die Liste der Lebensmittel gesetzt, die, falls sie unter einem Aufmerksamkeitsdefizit meinerseits leiden, den Brandmelder betätigen.
Ja, ich weiß, diese Liste wird immer länger.

Abgeschweift! Die Schokolade verflüssigte sich und löste sich schließlich völlig auf. Im Topf befand sich eine braune Flüssigkeit. Im letzten Moment fiel mir ein, dass ich noch Zucker und Salz dazutun musste.
Warum schreibt man: 1 Esslöffel Zucker? Warum schreibt man nicht 10, 20, 50 Gramm? Auf einen Esslöffel passt sehr viel Zucker. Manchmal zu viel Zucker. Leider!
Die Autorin des Rezeptes schreibt, man solle mit dem Verhältnis Sahne/Mascarpone/Schokolade ein wenig "experimentieren". Manche mögen diese Süßspeise sehr fest und schokoladig, andere mögen sie lieber cremig und eher hell.
Nichts gegen die Autorin. Aber woher sollte ich wissen, dass die Mengenangaben in diesem Rezept, eher für die Liebhaber einer sehr festen Crème gedacht sind? Sehr, sehr fest!

Ich wollte mich den Côte de veau zuwenden, als ich zufällig sah, dass sich auf der Crème eine Haut bildete. Wieder war rühren angesagt. Ich wollte nicht noch einmal ein bröckeliges Dessert servieren.
Nachdem die Crème dann soweit abgekühlt war, dass ich hoffte, es würde sich keine Haut mehr bilden, füllte ich sie in Gläser.
Geschafft! Ich die Crème und die Crème mich!

Ich wendete mich endgültig den Côte de veau zu. Das Butterschmalz schmolz in der Pfanne als es läutete. 17 Uhr! Wer konnte das sein? Meine Gäste! Etwas irritiert überprüfte ich die Uhrzeit. Es stimmte! 17 Uhr!

L'exactitude est la politesse des rois. Nun ja! Es sind keine Könige. Es ziemt sich nicht, aber sie waren nun mal da!
Ich schluckte den aufsteigenden Ärger hinunter, um gleich den nächsten zu verspüren.
Maria meinte, es wäre so schönes Wetter und sie könnten noch etwas meinen Garten genießen. Aus der Küche drang unangenehmer Geruch. Über der Pfanne hatte sich eine dunkle Wolke gebildet.



Sie stand stellvertretend für die dunkle Wolke, die langsam über mir heraufzog.
Als ich die Pfanne in die Spüle stellte, stand die ganze Familie in meiner Küche.
Mon Dieu! Lass es Anstand regnen!

Klaus erbat sich entkoffeinierte Coke für seinen Sohn, zuckerfreie Limo für seine Tochter, stilles Wasser für seine Frau und für sich ein alkoholfreies Bier.
Baron de Rothschild wäre nur etwas für Snobs.
Wow! Contenance!!!

Da ich von einem guten Freund vorgewarnt wurde, bezüglich der, nennen wir es erstmal, etwas seltsamen Art meiner Gäste, war ich auf diese Wünsche vorbereitet.
Merci Claude-Didier! Ich muss Dir im Nachhinein Recht geben, es war ein böser Fehler, mir diese Plage aufzuhalsen.

Ich bat meine Gäste in den Garten. Hätte ich sie doch nur in den Keller gesperrt.
Ich transportierte die gewünschten Getränke auf einem Tablett in den Garten. Von meinen Gästen war keine Spur zu sehen. Aber es war etwas zu hören.
Vom großen Teiche ertönten laute Plumps Geräusche. Michael stand davor und warf große Kieselsteine ins Wasser.
„Geil!“, sagte er ein ums andere Mal. Was war daran geil, arme Fische derart zu erschrecken?
Ich wundere mich immer noch, dass ich ihn nicht mit einem Tritt in den Teich befördert habe. Vielleicht weil ich meine Fische nicht zu Tode erschrecken wollte? Vielleicht, weil ihm, beim Anblick meiner geballten Fäuste, vor Schreck der Stein aus der Hand und auf seinen Fuß fiel?

Melissa lag in einem Meer aus Enzian. Das passende Bett für eine Prinzessin, ließ sich ihre Mutter vernehmen. Ich weiß nicht, was in diesem Moment schlimmer war, das zerstörte Enzianmeer oder der riesige Strauß Hortensien, den Maria im Arm hielt und der in ihrem Wohnzimmer sicher toll aussehen wird, wie sie sagte.
Ein Blick auf meine Hortensien versetzte mir einen Stich. Mangels Schere hatte sie die Stängel einfach abgebrochen bzw. -gerissen. Meine Hortensien sahen zum Heulen aus. Völlig zerrupft!
Ich hätte vor Wut um mich schlagen können. Tat ich aber nicht. Es hätte katastrophale Folgen gehabt. Ich wollte nicht wegen Körperverletzung vors Tribunal.

Mein Blick wanderte zum Haus. Was ich da sah, schlug dem Fass den Boden aus. Solch eine Unverschämtheit habe ich noch nie erlebt.
Was machte Klaus in meinem Schlafzimmer?
Ich hätte es in diesem Moment locker mit Usain Bolt aufnehmen können.
Klaus war erstaunt, mich so schnell zu sehen. Hatte aber kein schlechtes Gewissen. Er meinte nur, man erhalte die besten Erkenntnisse über einen Menschen, wenn man sein Schlafzimmer kennt.

Contenance! Grand-mère sagte immer: „Contenance, quoi qu'il arrive !
Ach, warum bin ich so gut erzogen?

Mittlerweile war die ganze Familie auf dem Weg in mein Schlafzimmer. Das war zu viel. Ich jagte sie fast vor mir her auf die Terrasse und schickte Michael in den Garten, um das Tablett mit den Getränken zu holen, das noch auf dem Rasen stand.
Ich konnte es mir nicht verkneifen, sie daran zu erinnern, dass sie nur Gäste waren und sich dementsprechend benehmen sollten.
Dass ich lieber zu einem Rindumschlag ausgeholt hätte, möge man mir verzeihen.

Ich ging zurück in die Küche, um mich endlich den Côte de veau zu widmen.
Ich war eben dabei, das erste Kotelett in die Pfanne zu legen, als die Prinzessin mir mitteilte, dass ihr die Limonade nicht schmeckte. Sie hätte lieber eine Coke.
Das Brodeln in meinem Innersten verstärkte sich. Ich drückte ihr eine Coke in die Hand und schickte sie wieder auf die Terrasse.
Ich wendete das Fleisch und grollte vor mich hin. Grollte etwas zu lange und das Fleisch überbräunte stark. Grrr!
Das nächste Kotelett gelang besser. Okay! Es hatte nicht viel Farbe, auch wieder dieses beige-creme. Aber es war nicht angekokelt!





Ich nahm das Fleisch aus der Pfanne, legte es in eine Auflaufform und stelle es in den Ofen. Ich wollte die nächsten Koteletts in die Pfanne geben, als Maria erschien.
Sie hatte meinen Blog gelesen und teilte mir mit, dass Melissa keine Côte de veau möchte. Sie möchte lieber Spaghetti à la Mira…. Allerdings nicht mit sauce aus dem Beutel, sondern aus frischen Tomaten.
Michael möchte Pommes zum Kotelett und sie bevorzuge Kartoffelstampf.

Oh! Tief einatmen! Oh!

Bevor sich das Brodeln einen Weg bahnen kann und ich alle Contenance der Welt vergesse, erbebt der Salon.
Die Prinzessin und verkappte Primaballerina hat den schwingenden Boden entdeckt und hüpft elefantengleich durch den Salon.
Die Bodenvase hat dem Schwung der torkelnden Ballerina nichts entgegenzusetzen und zerschellt auf dem Boden. Das Wasser ergießt sich in den Salon und die Lilien rutschen übers Parkett.
Die Ballerina rutscht in der Wasserlache aus und plumpst auf den alles andere als kleinen Po.
Marias Sopran ertönt und mischt sich mit dem Geschrei der entthronten Primaballerina.

Ich zwacke mich, weil ich einfach nicht glauben kann, dass all dies geschieht. Hoffe auf einen Alptraum.
Wie gerne hätte ich die Contenance verloren. Aber ich beschloss, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

Ich schickte den Psychiater in die Besenkammer, um den Wischmop zu holen. Wunderte mich nicht mal, dass er ohne Widerworte gehorchte.
Im Nachhinein kann ich mir denken, dass es um meine Contenance nicht mehr gut bestellt war.

Maria wurde wieder zum ruhenden Pol der Familie und verzog sich auf die Terrasse. Phh! Kartoffelstampf! Was auch immer das ist, nicht bei mir!
Pommes und sauce aus frischen Tomaten! Bin ich hier in einem Irrenhaus?
Reicht es nicht, dass mir die Zutaten das Leben schwer machen? Müssen jetzt auch noch meine Gäste am Rad drehen?

Ich ging in meine Küche und fühlte mich dort plötzlich wohl. Mein Chaos, nicht das Chaos fremder Menschen. Verrückt, nicht wahr?

Da ich die Pfanne vom Herd genommen hatte, war nichts angebrannt. Das muss ich jetzt doch mal erwähnen.
Ich briet die beiden letzten Koteletts sanft an und gab sie zu dem anderen in die Auflaufform. Füllte Kartoffeln, Champignons und Tomaten hinzu und belegte alles mit Rosmarinzweigen.
Schließlich überrieselte ich alles mit Salz und Pfeffer. Kurz, nur ganz kurz, spielte ich mit dem Gedanken, noch eine Extraladung Pfeffer über das Fleisch zu geben. Aber wirklich nur ganz kurz.

Ich erhitzte Wasser im Wasserkocher. Gab es in einen Topf und füllte die Spaghetti ein. Die sauce aus dem Beutel erwärmte ich in einem kleinen Topf.

Der Timer meldete sich und ich nahm die Côtes de veau aus dem Ofen.
Ich drapierte alles auf den Tellern und machte das obligatorische Foto.





Die Spaghetti waren al dente und die sauce warm.

Meine Gäste kamen zu Tisch. Niemand monierte den fehlenden Kartoffelstampf. Niemand beschwerte sich über die fehlenden Pommes. Niemand wagte etwas gegen die sauce aus dem Beutel zu sagen.

Die Kalbskoteletts waren nicht alle rosa. Aber sie waren genießbar. Die Kartoffeln waren noch etwas hart. Die Champignons gut gebraten und die Tomaten hatten eine gute Konsistenz.

Melissa war ganz angetan von der sauce, die viel besser schmeckte, als die sauce von Mama. Und der Käse war so lecker. Zog auch keine langen Fäden.
Okay! Ich konnte mir einen triumphierenden Blick Richtung Maria nicht verkneifen. Man möge mir verzeihen.

Als ich das Dessert holte, hörte ich Klaus sagen, dass er erstaunt sei. Er hatte sich das Essen schlimmer vorgestellt. Aber es war nicht schlimm, im Gegenteil, es war gut, was er kaum fassen konnte.
Ich konnte es auch nicht fassen!





Das Dessert war der Hammer, wie Michael sagte. Fest, aber dennoch cremig. Schokoladig und herrlich süß. Die anderen stimmten ihm zu. Als sie dann nach Nachschlag fragten, traute ich meinen Ohren nicht.
Ich war geneigt, ihnen ein schlechtes Gewissen zu unterstellen, aber es war ihnen ernst damit.

Gegen 23 Uhr verabschiedeten sie sich. Im Entrée versuchte sich Melissa noch einmal als Ballerina. Sie hielt sich am Geländer fest und schwang ihr pummeliges Bein. Ihr Fuß traf den Kandelaber und versetzte ihn in Schwingung.
Klaus konnte ihn noch festhalten, bevor er den beiden Kerzen gefolgt wäre, die polternd die Marmortreppe hinab hüpften.
Klaus öffnete sein Portemonnaie und drückte mir zerknirscht einen größeren Schein in die Hand.

Sie stiegen in ihren Mercedes und fuhren davon.
Ist es gemein zu sagen: ENDLICH!?

Sagen wir es mit Goethe!
Sage mir, mit wem du umgehst, so sage ich dir, wer du bist. Weiß ich, womit du dich beschäftigst, so weiß ich, was aus dir werden kann.
Mein lieber Johann Wolfgang von Goethe. Ich hatte nie die Absicht Köchin zu werden. Und meine nächsten Gäste werden alle handverlesen sein.

Da hat mich mal ausnahmsweise nicht das Kochen an den Rand des Wahnsinns gebracht, da entpuppen sich meine Gäste als….
So. Jetzt sind es noch 32 Events. Ich hoffe inständig, dass sich meine Gäste nie wieder als, na ja, ich hoffe es eben.